Kellner, Thomas
Am Anfang der Werkgruppe „Dancing Walls“ steht die programmatische Arbeit „British Museum, 2005“, die in ihrem kaleidoskopisch zergliederten Bildaufbau das architektonische Projekt „Great Court British Museum“ des bekannten britischen Architekten Norman kongenial umsetzt. Weitere Höhepunkte der Werkserie bilden die Reihe prunkvoll ausstaffierter, Gold glänzender Innenansichten Genueser Palazzi aus dem Jahre 2005, die pars pro toto ein Gesamtbild der Stadt entwerfen, daneben die jüngere Einzelarbeit „Boston Athenaeum, 2006“, die nicht nur das architektonische Vokabular des Außenbaus reflektiert, sondern erneut mit dem Motiv des Treppenhauses eine traditionsreiche Metapher aufgreift. 2006 entstand des Weiteren mit der zentralen Fotografie „Mexiko Munal“ eine weitere Innensicht eines städtischen Wahrzeichens.
In „Dancing Walls“, als auch in der vorausgegangenen und parallel fortgeführten, zugleich offen angelegten Werkserie „Tango Metropolis“ reiht sich Thomas Kellner in die Geschichte der Fotografie mit einem höchst individuellen fotografischen Verfahren ein, dass er aus seinen künstlerischen Experimenten mit der Lochkamera ableitete. Kellner nimmt die Bauwerke mit der Kamera entsprechend zum Akt des natürlichen Sehens auf. Die derart entstehende Serie an Einzelaufnahmen aus jeweils leicht verschobener Kameraperspektive wird in einem nachfolgenden künstlerischen Prozess zu einem neuen Sehbild konstruiert.
Mit subversiver Ironie stellen uns die Architekturfotografien von Thomas Kellner weder postkartentaugliche Erinnerungsbilder der Monumente vor Augen, noch sind sie dokumentarische Belege einer vollkommenen Gestalt. Statt verfestigt, erscheinen die Bauwerke in viele einzelne Fragmente dekonstruiert, die in ihrer Gesamtheit zu einer neuen Gestalt gefügt werden. Dabei greift, wie Alison Nordström, Kuratorin für Fotografie am George Eastman House in Rochester, New York, scharfsinnig bemerkte, eine vordergründige Deutung der Kellner’schen Arbeiten als kubistisch-fragmentarische Montagen zu kurz. Vielmehr verhandeln sie medienreflexiv die Geschichte ihres Genres.
Entscheidend ist, dass es sich bei den großformatigen Farbfotografien um Kontaktabzüge handelt, die sich aus den zusammenmontierten, fortlaufenden Filmstreifen des Shootings aufbauen. Einige Exemplare der „Dancing Walls“ sind aus neunhundert Einzelaufnahmen, ergo fünfundzwanzig Filmrollen, komp oniert. Damit beginnt der konzeptuelle Prozess bereits im Vorfeld des Einsatzes der Kamera, die Bildzerlegung findet zuerst im Kopf des Künstlers statt. Das Ergebnis selbst stellt den fotografischen Prozess offen vor Augen, mehr noch es verlässt diesen, um in der Dimension des Filmischen zu argumentieren.
Thomas Kellners Arbeiten sind vorrangig in den vergangenen sieben Jahren in zahlreichen Ausstellungen in namhaften Galerien Europas und den USA, in jüngerer Zeit zudem an verschiedenen Orten in China gezeigt worden. Darüber hinaus ist der Künstler als Sachverständiger für Fotografie, als Kurator und Initiator des jährlich in seinem Atelier in der Friedrichstrasse stattfindenden photographers network tätig.